Wie so oft dauern die aller-Aller-ALLERletzten Vorbereitungen zur Abfahrt doch länger als gedacht. Vormittags kommt am Steg in Guadeloupe zufällig noch unser Rigger vorbei, der uns prompt fragt, warum wir immer noch nicht weg sind. Jaja, wir sind ja dabei!
Jedenfalls wird es Mittag, bis wir endlich die Leinen lösen und die Marina verlassen.
Später hören wir, dass Franzi und Julius an ihrem Abreisetag den ganzen Vormittag an einem Aussichtspunkt weiter Richtung Pointe a Pitre auf uns gewartet haben, sie haben uns dann tatsächlich noch rausfahren gesehen!
Pointe a Pitre nach Norden zu verlassen ist nicht so ganz einfach, wir müssen erst mal um die Insel herum und dabei fast zurück bis Marie Galante kreuzen, weil der Passat für uns genau gegenan kommt (auf der Westseite wäre es auch nicht besser gewesen, da gibts kein Wind). In der Nacht passieren wir aber endlich die die Ostspitze von Guadeloupe an Backbord und die kleine Nachbarinsel La Désiderade an Steuerbord und sind damit auf dem offenen Meer.
Die ersten Tage bringen den hier üblichen Passatwind. Da wir Bermuda auslassen und direkt die Azoren anlaufen wollen, segeln wir am Wind, so viel Höhe wie es - noch komfortabel - geht. Es gibt wieder reichlich Abendunterhaltung am Himmel, wir sehen einen kompletten Regenbogen und dramatische Wolkenbilder.
Sobald der Wind dann erwartungsgemäß nachlässt und wir motoren müssen, wollen wir mehr oder weniger Zielkurs laufen, wohlwissend, dass wir auf dieser direkten Route dann insgesamt weniger Wind haben werden als weiter im Norden (was z. B. von Jimmy Cornell in seinen Büchern empfohlen wird).
In den Tagen vor der Abreise haben wir das Wetter auf dem Nordatlantik intensiv verfolgt und sind erstaunt davon, wie viele Sturmtiefs in diesem Jahr noch im Mai relativ weit nach Süden ziehen. Das ist eher unüblich, man sagt, dass die Frühlingsstürme eher bis Ende April stattfinden - und das dann auch weiter im Norden.
Inzwischen sind wir durchaus froh, mit der Abreise ab Guadeloupe "spät dran" gewesen zu sein, denn gegen Ende Mai beruhigt sich das Wetter zusehends.
Korrosion Teil 1...
Weniger Glück haben wir mit der Technik, die natürlich ausgerechnet auf dem Ozean anfängt, rumzuzicken.
An Tag 6 fällt um 03:45 Uhr Bordzeit (gibt es eine perfektere Zeit für so etwas?) nahezu die komplette Navigationselektronik aus: der Autopilot steigt aus, es werden keine Wind- und Geschwindigkeitsinformation mehr angezeigt.
Der Elektroingenieur an Bord wird geweckt, die Bordfrau stellt sich ans Steuer und es beginnt die Fehlersuche in der Backskiste.
Schnell ist klar, dass das NMEA2000-Netzwerk des Bootes, über das unsere gesamte Navigationselektronik vernetzt ist, ein Problem hat: die Diagnosefunktion des Chartplotters zeigt an, dass es massenweise Sende- und Empfangsfehler auf dem Bus gibt. Es dürften normalerweise gar keine auftreten!
Vermutlich also irgendwas in der Verkabelung. Systematisch wird das Problem eingekreist, indem Teile des Netzes abgehängt werden.
Und bald zeigt sich, dass unser Problem ein korrodiertes T-Stück im vorderen Teil des Schiffes an unserer Logge (Fahrt- und Tiefenmesser) ist. Dort ist scheinbar etwas Feuchtigkeit eingedrungen, und über die Zeit hinweg hat das Salzwasser die Kontakte angegriffen und zerstört (zu sehen ist nichts).
Das T-Stück wird gegen ein glücklicherweise zufällig(!) vorhandenes frisches Exemplar getauscht und der Spuk ist vorbei! Es bleibt die Frage, wie sich Schiffsbesatzungen ohne Bordingenieur weiterhelfen. Vermutlich durch noch mehr doppelte Ausstattung. Sicher ist jedenfalls, dass man für eine Weltumsegelung (der riesige Pazifik!) eine mechanische Windfahnensteuerung als Back-up haben will. Aber wir wollen ja bloß wieder heim!
... und Teil 2
Nur wenig später fallen beide Positionslampen aus, bizarrerweise nahezu zeitgleich, obwohl sie getrennt versorgt werden. Glücklicherweise passiert das bei wenig Wind und Welle, das macht eine Reparatur unterwegs überhaupt erst möglich.
Leider scheitern wir zunächst daran, die Positionslampen zu demontieren, sie sind am Bugkorb direkt über dem Wasser angebracht, und wir wollen weder riskieren, den Lampenkörper zu beschädigen, noch etwas ins Wasser fallen zu lassen.
Hier profitieren wir einmal wieder richtig davon, ein Iridium GO Satellitenkommunikationsgerät dabei zu haben: Klaus ist so nett, für uns im Internet nach der Installationsanleitung zu suchen und schickt sie uns postwendend als PDF zu.
Mit der Anleitung (gewusst wie) ist es dann leicht, den Lampenkörper zu demontieren. Dabei wird schnell klar, was das Problem ist: die kompletten Flachsteckverbinder inklusive der Zuleitungen (natürlich einmal wieder unverzinnt...) sind weggkorrodiert und bröseln bei der geringsten Bewegung auseinander. Ein Wunder, dass die Lampen so lange funktioniert haben.
Nach einer gründlichen Reinigung der Kontakte werden die verrotteten Zuleitungskabel gekürzt, von Kupferoxid befreit, neue Steckverbinder aufgecrimpt, zur Sicherheit verlötet, mit Schrumpfschlauch und Flüssiggummi abgedichtet und wieder eingebaut.
Vier Stunden später leuchten beide Lampen wieder und wir können wieder beruhigt in die Nacht fahren.
Flautenzone
Die Flaute der Rossbreiten erreichen wir früher (südlicher) als erwartet, ein Sturmtief weiter im Norden hat den Wind großflächig abgezogen. Immerhin müssen wir aber vorerst nur zwei Mal länger, jeweils ca. 15 Stunden, motoren, bis wieder einigermaßen Wind kommt.
Unsere Flautenphasen sind wieder durchaus ansehnlich. Das Wasser ist spiegelglatt, wir können sogar Spiegelungen der Wolken sehen. Und wir wundern uns, dass es so weit draußen immer noch Vögel gibt.
Teilweise fliegen sie dicht neben uns her, manche machen sich einen Spaß daraus, direkt hinter uns immer wieder im "Wasserski-Style" zu landen. Dann lassen sie sich zurückfallen, bis Entropy einige hundert Meter weiter gefahren ist, fliegen wieder hinter uns her und landen wieder.
So eine hübsche Flaute kann man auch zum Baden nutzen: einmal kurz in den Ozean gehüpft möbelt den Kreislauf wieder auf und erfrischt ungemein. Natürlich nur mit Sicherungsleine und einer ist immer an Bord. Freundlicherweise hatten wir immer eine "Wächtermöve", die sich das Schauspiel auf dem Wasser treibend gemütlich angesehen hat.
Die Wikinger kommen!
Wir treffen mitten auf dem Atlantik die "Stroller", eine norwegische Ketsch mit 6 jungen Leuten an Bord, unterwegs von Bermuda ebenfalls nach Horta - und das ohne Autopilot, wie wir später erfahren.
Ihr AIS-Signal taucht nachts urplötzlich drei Seemeilen neben uns auf, vermutlich haben wir sie eingeholt. Wir nehmen Kontakt per Funk auf, tauschen so die Email-Adressen unserer Satellitenkommunikation und reduzieren unsere Geschwindigkeit, damit wir etwas länger zusammen bleiben. Trotzdem ist die Stroller nur wenig schneller als wir, aber Skipper Knut gibt alles, um uns einzuholen. Eine Assoziation, die sich uns aufdrängt, als die Stroller genau achteraus mit ausgebaumten Segeln aufschließt: Die Wikinger kommen... ;-)
Als sie abends aufgeholt haben, fahren wir länger Seite an Seite. Wir können uns ein paar Minuten rufend verständigen und machen gegenseitig Fotos. Später verlieren wir uns leider aus den Augen, die VHF-Antenne der Stroller ist scheinbar nicht so gut und das AIS Signal verschwindet schon in 4 sm Entfernung.
Starkwind
Bis Tag 16 haben wir so eine sehr angenehme Passage mit gutem Wetter und oft passablem Wind, aber es zeichnet sich ab, dass wir bald Starkwind bekommen, weil wir den südlichen Ausläufer eines heftigen Sturmtiefs (> 50 kn Windgeschwindigkeit im deutlich weiter im Norden gelegenen Zentrum) passieren werden.
Anhand des Wetterroutings haben wir zwei Möglichkeiten: entweder länger bei moderat starkem Wind weiter direkten Kurs laufen (die rote Route links) oder aktiv durch die Front segeln und danach schneller ruhigeres Wetter haben (blaue/grüne Route).
Nach einiger Überlegung entscheiden wir uns, aktiv durch das Wetter zu fahren. Die andere Route hätte bedeutet, dass wir danach lange Flaute bekommen und die letzten vier Tage nach Faial mit dem Motor fahren müssten.
Am Freitagmorgen ändern wir also Kurs auf NNE, Augen zu und durch. Wir bereiten abends das Großsegel im 2. Reff vor, setzen es aber noch nicht, da wir Wind aus Südwest haben. So vorbereitet laufen wir bei 20 kn Wind zunächst raumschots quer zur Front.
Anfangs ist es windig, aber sonnig (die Warmfront). Entgegen unserer normalen Wacheinteilung bleiben wir beide diese Nacht im Salon, um das unvermeidliche Gehacke schnell und gemeinsam angehen zu können.
Nachts gegen 03:00 Bordzeit kommt die in den Wetterdaten angekündigte Winddrehung in Form einer Regenfront, innerhalb von nur 5 min frischt es von 20 auf 30 kn auf, der Wind dreht gleichzeitig wie angekündigt um 100 Grad. Die Temperatur fällt schlagartig um gut 10 Grad. Die schon stark gereffte Genua flattert im Wind.
Also raus, den Kurs anpassen und die Situation beobachten. Eine Stunde später hat sich das Wetter stabilisiert, wir setzen das vorbereitete Großsegel und laufen jetzt am Wind im 2. Reff bei 25 kn und ekliger Welle. Es ist ziemlich kalt (die Kaltfront...), das Wasser kondensiert an allen Flächen im Boot, zusätzlich zu dem, was unser nasses Ölzeug reinschleppt.
Aber auch diese Nacht geht vorbei, der Tag bringt weiter unangenehme Welle und bedeckten Himmel. Es dauert einen Tag, bis sich das ruhigere Wetter hinter der Front durchsetzt. Am folgenden Morgen scheint wieder die Sonne und wir können das ganze Salz aus dem Cockpit fegen, um so langsam auch mal wieder draußen zu sitzen.
Der Wind dreht langsam ostwärts, bis wir ihn fast gegenan haben. Es bleibt uns daher nichts anderes übrig, als zu kreuzen. Damit erreichen wir zwar ein Etmal von 100 sm, schaffen aber nur wenige Seemeilen Strecke in Richtung Ziel. Egal, kurz darauf setzt die angekündigte Flaute ein, also Motor an und Endspurt auf Zielkurs.
Als der Wind zwei Tage vor Faial wieder anspringt, kommt auch der Parasailor noch einmal zum Einsatz, aber die größte Überraschung erwartet uns kurz vor Horta. Eine ganze Delfinschule besucht uns und schwimmt ausgelassen neben uns her. Obwohl das Schauspiel schwer zu fotografieren ist, gelingen uns einige Videoaufnahmen.
Irgendwann ist Land in Sicht, unser Ziel ist in greifbarer Nähe, und die letzten Stunden bis zum Hafen von Horta vergehen schnell. Auch, weil an genau unserem Ankunftstag (15.06.2017) das EU-Roaming in Kraft tritt. Unsere Mobiltelefone bestätigen das per Kurzmitteilung, wir können schon in einiger Entfernung vom Land unser Daten-Roaming anschalten und das Internet nutzen.
Insgesamt war das doch eine recht angenehme Reise, mit ihren 2477 Seemeilen in nur 22 Tagen gefühlt deutlich weniger anstrengend als die Hinreise. Ein kleines Schwerwetter ist wohl Ehrensache bei einer Atlantiküberquerung, und die kleinen Technikprobleme waren jetzt auch nicht so wild.
Wir freuen uns aufs Ausschlafen, eine lange heiße Dusche und europäische Esskultur!